Schön ist sie geworden, die Elbphilharmonie. Und was hat sie nicht alles ertragen müssen, dieser Leuchtturm verlernten Bauens in Deutschland? Dabei hat Deutschland das Bauen gar nicht verlernt, es hat nur sein Wissen manchmal nicht eingesetzt. Entsprechend enthält der im Juni 2015 vorgelegte Abschlußbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Reformkommission für Großprojekte für Fachleute auch keine neuen Erkenntnisse. Dafür schafft er aber insbesondere für Nicht-Fachleute einen neutralen, d. h. von Branchen-, Verbands- oder Politikinteressen unabhängigen breiten fachlichen Konsens: Wer sich an diese Spielregeln hält, der hat schon die wesentlichen Dinge richtig gemacht.
Ja, heißt es jetzt bei den touristischen Führungen in Hamburg, teurer sei sie natürlich schon geworden, die Elbphilharmonie, 700 Mio. EUR hätte sie gekostet anstatt 70 und es wird gleich nachgeschoben: Hätte man gleich die wahren Kosten benannt, wäre sie bestimmt niemals gebaut worden – und das wäre doch wirklich schade gewesen. Auch wenn diese Argumentation bei der bischöflichen Residenz in Limburg nicht getragen hat, so erhielt sie doch schon 1463 den Segen von Papst Pius II, der an seinen Baumeister Bernardo Rosselino gerichtet wie folgt zitiert wird:
„Du hast ganz recht gehandelt, Bernardus, daß du uns über die voraussichtlichen Kosten getäuscht hast. Wenn du uns die Wahrheit gesagt hättest, hättest du uns nie zu einer solchen Aufgabe bewegen können, und weder der vornehme Palast, noch das in ganz Italien seinesgleichen suchende Gotteshaus stände jetzt hier, deine Vorspiegelungen legten den Grund zu diesen herrlichen Bauwerken, die mit wenigen Ausnahmen von bloßem Neid verzehrten Menschen alle rühmen. Wir danken dir und erkennen unter allen Architekten des Jahrhunderts dir die erste Stelle zu.“
Durm: Baukunst der Renaissance in Italien, Leipzig 1914, S. 274 – nach Prof. Dr. K.-H. Pfarr: Bauherrenleistungen und ihre Delegation, Heft 01/1997, S. 5
Dann wurde also bei der Elbphilharmonie womöglich doch fast alles richtig gemacht? Diese Interpretation geht nicht nur den „von bloßem Neid verzehrten Menschen“ zu weit, auch die Berufsgruppe der Architekten und Ingenieure in Planung und Baumanagement muß hier Position beziehen, was Ruf und Attraktivität einer ganzen Branche angeht. Oder war das schon das Ende des Projektmanagements?
Wer solche Projekte erfolgreich managen möchte, muß sie jenseits ihrer (ingenieur-) technischen Herausforderungen auch mit ihren sozio-kulturellen Systemen verstehen: Beide Aspekte beschreiben nämlich die Leitplanken, zwischen denen das Projekt möglichst kratzerfrei hindurchbugsiert werden muß. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Bauherr möglichst viel „Projekt“ für möglichst wenig „Leiden“ haben möchte. Je unerfahrener er ist, umso größer ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die Einbeziehung breiter Teile der Öffentlichkeit wirkt sich insoweit leider nachteilig aus und führt letzten Endes dazu, daß – etwa im Fall der Elbphilharmonie – die Politik als Auftraggeber taktisch wohl tatsächlich so handeln mußte, wie sie gehandelt hat. Jedenfalls spricht die Tatsache, daß das Handeln auch im Nachhinein nicht ernsthaft beanstandet wurde, für die Richtigkeit dieser Annahme. Deshalb ist dieses Muster auch in Zukunft so zu erwarten. Darauf müssen sich Architekten und Ingenieure einstellen.
Was sich allerdings unbedingt ändern sollte ist, daß die Bauherrenseite künftig deutlich früher wieder ins Faktische zurückfindet, um die Kollateralschäden einzudämmen. Je länger zum Schein an unhaltbaren Positionen festgehalten wird, umso mehr Zeit und Geld wird „verbrannt“. Angesichts der lang andauernden Streitigkeiten und Baustillstände rund um die Elbphilharmonie erscheint es durchaus vorstellbar, daß sich unter günstigeren Bedingungen ein geringer Teil der Gesamtkosten hätten einsparen lassen – was bei diesen Größenordnung schnell einen dreistelligen Millionen-Betrag ausmachen kann. Das ist der wirklich zu beanstandende Teil der sich bereits wieder verklärenden Elbphilharmonie-Wahrheit: Hier ist der Bürgerschaft nicht nur bei ihrer Willensbildung „nachgeholfen“ worden, sondern sie hat darüber hinaus sogar viel Geld verloren, ohne dafür einen Gegenwert erhalten zu haben.
Architekten und Ingenieure in Planung und Baumanagement weisen Bauherren den Weg durch das Projekt. Sie können ihn zwar nicht daran hindern, Teile des Weges auf unbefestigtem Terrain zurückzulegen. Sie müssen ihm aber stets und immer wieder mit Nachdruck den richtigen Weg weisen. Auch wenn es unangenehm ist, dem eigenen Auftraggeber zu sagen, wo es lang geht: Spätestens der Abschlußbericht der Reformkommission gibt den Fachleuten das Mandat dazu und erlegt ihnen gewissermaßen auch noch die Sorgfaltspflicht auf, Fehlentwicklungen gegenüber ihren Auftraggebern frühzeitig und klar zu benennen, auf die sich daraus ergebenden Risiken hinzuweisen und entsprechende Handlungsempfehlungen auszusprechen. Dies dient der Sache als Ganzes und verhindert überdies, daß die „Bauleute“ hinterher schmerzhaft an der Leitplanke behaupteter (ingenieur-)technischer Inkompetenz zerrieben werden.
Architekten und Ingenieure sind aufgerufen, ihr Mandat anzunehmen und engagiert auszuüben. Wie bei einem beruflichen Ehren-Kodex sollten sie sich dabei nicht dazu verführen lassen, in gefälliger Bedienung ihrer Auftraggeber zur Absicherung von deren Entscheidungsträgern unangenehme Wahrheiten auszusparen oder gar zu verwässern. Denn die Auftraggeberschaft soll schon wissen, was sie da tut.