Auf der diesjährigen DVP-Tagung am 07. November in Berlin ist deutlich geworden, dass die Herausforderung weniger im Technischen, als im organisatorisch-regulativen Bereich liegen. Wenn selbst Vertreter öffentlicher Auftraggeber unter Hinweis auf ihre Rahmenbedingungen den Eindruck nicht mehr entkräften können, dass die drängendsten Ziele kaum noch zu erreichen sind, hilft auch das beste Projektmanagement nicht mehr weiter. Wie konnte es dazu kommen?
Nach und nach wurden die einstmals blühenden Landschaften der Bundesrepublik Deutschland von wohlmeinenden Menschen in allerbester Absicht mit Gesetzen, Normen und Verordnungen versehen, so wie manch einer seinen heimischen Garten liebevoll mit Gartenzwergen dekoriert. Unabhängig von Sinn- und Geschmacksfragen ist dagegen nichts einzuwenden, solange Freude und Nutzen überwiegen und im Alltag nicht zur Belastung werden.

Dieser Punkt ist überschritten, wenn die Haupt-Wege sachgerechten Handelns blockiert sind: Demnach dürfte es beispielsweise nämlich gar keine Projektbeteiligtenlisten mehr geben, weil sie zwangsläufig personenbezogene Daten enthalten. In der Praxis von Bauprojekten sind die gemäß DSGVO an sie zu stellenden Anforderungen kaum noch zu erfüllen. Zum Glück lassen sich die wenigsten Projektleiter davon vom rechten Weg abbringen und geben ihren eigentlichen Projektaufgaben den Vorrang. Sie sind mutig und gehen dieses Risiko zugunsten der Sache ein.
Bemühungen zum Bürokratie-Abbau reichen bereits in die frühen 2000er Jahre zurück. Angesichts dessen, dass der „Regulierungsgarten“ seither trotzdem voller, statt leerer geworden ist, ist hier auch absehbar nicht mit Linderung zu rechnen. Wie auch: Bürokraten lieben nicht nur Bürokratie, sie leben auch davon. Vielleicht bietet ja das Ausscheiden der „Baby-Boomer“ in ein paar Jahren die Chance einer rigorosen Entrümpelung, einfach weil keiner mehr da ist, der den Regulierungsgarten weiter pflegen könnte.
Gerade jetzt aber, wo die Gesellschaft dringend auf praktische Handlungsfähigkeit angewiesen wäre, ist diese Hoffnung aber keine Strategie. Dabei könnten die Erfolgsaussichten drängender Ziele mit etwas Improvisations- und Risikobereitschaft durchaus verbessert werden. Für den Bereich der Nachrichtendienste zeichnet der neue BND-Präsident Martin Jäger mit seiner Ankündigung von Mitte November jedenfalls einen solchen Weg vor, wenn er künftig höhere Risiken eingehen, und „operativer“ werden möchte. Übertragen auf das Bauen könnte ein Rollentausch von Juristen und Ingenieuren Großes bewirken. Dabei sollte die fachliche Verantwortung wieder priorisiert, und zurück in die Hände von Ingenieuren und technisch geprägten Entscheidern gelegt werden, die von Juristen rechtlichen Flankenschutz erhalten. „Einfach machen“, und zwar im vollen Bewusstsein, dass zu kalkulierende und abzuwägende Rest-Risiken verbleiben werden, die notfalls im Nachgang gerichtlich zu klären sein werden. Beispiel:
Es gibt gute fachliche Gründe, weshalb ein Ingenieur in einer Ausschreibung von Entwässerungsanlagen Rohrleitungs-Materialien vorgibt. In einer öffentlichen Ausschreibung in Belgien hat ein Hersteller von Kunststoff-Rohren dagegen geklagt, weil er mit den von ihm hergestellten Materialien nicht an der Ausschreibung teilnehmen konnte. Nachdem der EuGH dieser Auffassung im Kern gefolgt ist, dürften Ingenieure Rohrleitungsmaterialien qua EU-Recht künftig i. d. R. nicht mehr vorgeben, weil dies einzelne Markt-Teilnehmer diskriminieren könnte (EuGH Urteil vom 16. 1. 2025 – Rs. C-424/23). Dies kann in der Praxis dazu führen, dass wettbewerbsrechtliche Aspekte vor baulichen Aspekten der Stabilität, Langlebigkeit und Betriebssicherheit gehen. Oder mit anderen Worten: Der Schutz eines Unternehmens, das offensichtlich auf das „falsche“ Produkt gesetzt hat, wiegt schwerer als der Anspruch der Allgemeinheit auf „value for money“ für ihre Steuergelder. Dieser Güterabwägung ist schwer zu folgen.
Eine praktische „Chance“ liegt dabei in der Überlastung der Gerichte: Kommt es nämlich erst Jahre später zur Verhandlung, fallen Güterabwägungen auch leichter: Denn hinterher ist man bekanntlich immer schlauer!