Gebäudetyp „E“ und andere Schildbürgerstreiche

Wie ein roter Faden hat sich die überbordende Bürokratie in Deutschland auch durch die diesjährige Jahrestagung des DVP gezogen. Vielfach beklagt wurde ein großer, kaum noch zu beherrschender „Normen-Wust“, der Verträge immer komplexer und schwerer handhabbar macht. Der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gebäudetyp „E“ ‑ einfach (im Kostensinn) und experimentell ‑ verschlimmbessert die Situation: Herausgekommen ist – vereinfachend zusammengefasst – eine Regel dazu, welche anderen Regeln (Normen) nicht angewandt werden müssen. Dabei geht es vor allem um „Komfort“-Normen, wie etwa die übliche Anzahl von Steckdosen je Raum. Was bereits jetzt wie ein Schildbürgerstreich anmutet, wird noch mit neuen Aufklärungspflichten des Architekten gegenüber dem Bauherrn abgerundet. Vom Architekten gefragt, ob ein Bauherr gerne weniger Steckdosen hätte, als normal, wird letzterer im Zweifelsfall auf der sicheren Seite eher an der üblichen Anzahl Steckdosen festhalten wollen, zumal auf diesem Weg kaum signifikante Kosteneinsparungen erzielbar sind.

Mit dem Mehrfachstecker Wohnen bezahlbar machen (pointiert vereinfachende Darstellung)

Eine immer weiter zunehmende Verrechtlichung des Bauens ist auch die Folge solcher Experimente, die Projektmanager mehr und mehr der Gefahr von Verstößen gegen das Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (RDG) aussetzt. Im öffentlichen Vergaberecht geht schon lange nichts mehr ohne eine juristische Projektbegleitung und es ist sogar höchst fraglich, ob ein Projektmanager noch einen Vergabevermerk verfassen darf.

Bisweilen kann man sich allerdings schon fragen, ob die Themen für sich rechtlich bereits so komplex sind (oder sein müssen), oder ob sie erst durch die Juristerei komplex gemacht werden. Wenn etwa ein führender Baurechtler Mitte September in einem öffentlichen Diskussionsforum feststellt, dass die „Koordination der Ausführenden“ möglicherweise doch nicht zu den Grundleistungen des Architekten gehören könnte, mag das eine juristisch-dogmatisch nachvollziehbare Feststellung sein, der aber die Praxisrelevanz abzusprechen ist: Wenn der Bauherr die Leistung alternativ selbst übernehmen könnte, bräuchte er hierfür keinen Architekten. Kein vernünftiger und ganzheitlich denkender Architekt dürfte dies daher anders sehen, zumal er ohnehin den werkvertraglichen Erfolg schuldet. Wenigstens hat er jetzt durch die Gedankenspiele gelernt, dass er versuchen kann, sich eine zwingend notwendige Selbstverständlichkeit noch zusätzlich vergüten zu lassen. Außer Spesen also nichts gewesen, nur dass nicht der Initiator dieser Gedankenspiele die Zeche zahlt, sondern (wieder) der Bauherr.

Solche rechtlichen Entwicklungen konterkarieren das Ziel einfach handhabbarerer Verträge und der Konzentration auf das Eigentliche: Das Bauen. Weniger wäre hier deutlich mehr und würde zudem wertvolle Projekt-Ressourcen einsparen, die ansonsten im Mikro-Regelungs-Management gebunden sind. Anstatt also einen neuen Gebäudetyp E einzuführen, wäre es sinnvoller, die ohnehin bisweilen Jahrzehnte alten Normen mutig zu „entrümpeln“ und zu konsolidieren. So ist im Ergebnis aber leider davon auszugehen, dass der Anteil der Rechtsberatungskosten an den Herstellungskosten auch weiterhin steigt, ohne dass dem ein materieller Gegen- bzw. Mehrwert gegenüberstünde.

Auch das konterkariert die gesellschaftliche Forderung nach, und Notwendigkeit von kostengünstigerem Bauen. Vor die Wahl gestellt, ob ich lieber auf Steckdosen, oder auf rechtliche Beratung verzichten würde, hätte ich persönlich eine klare Tendenz. Zumal sich rechtliche Risiken auch durch gutes Projektmanagement und faire (Standard-)Verträge mit angemessenen Vergütungsregeln in den Griff bekommen lassen. Vertrag kommt schließlich von vertragen.


Nachtrag vom 20.11.2024:
Am 19.11.2024 bestätigt die Website www.meistertipp.de obige Ausführungen zur Elektroinstallation in wesentlichen Punkten und weist zudem auf die Brandschutzrisiken durch Mehrfachsteckdosen hin.